viernes, 2 de noviembre de 2007

Ein deutsches Dorf rockt

Ein deutsches Dorf rockt

Von Wolfgang Höbel

Die aus Südkorea stammende Regisseurin Sung-Hyung Cho bestaunt in ihrem Film "Full Metal Village" schleswig-holsteinische Bauern, deren Alltag durch das alljährliche Heavy-Metal-Festival schöner, lauter und bunter geworden ist. Die amüsante Dokumentation erscheint jetzt auf DVD.

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Rockmusik ist nicht tot, nur weil ehrbare Langeweiler wie Bruce Springsteen sie ins Wachkoma nudeln oder ein netter Rocker-Jungspund wie Pete Doherty ein bisschen zu aufdringlich mit dem Sensenmann knutscht. Nein, die wirklich wilden, bösen, zähnefletschenden Rockmusiker sind zum Fürchten lebendig und treffen sich und ihre Fans alljährlich zu einer fröhlichen Freudenfeier hinter den sieben Bergen, bei den schleswig-holsteinischen Zwergen.

Szene aus "Full Metal Village": "Are you ready to kill each other?"
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Flying Moon Filmproduktion / Marc Gensel

Szene aus "Full Metal Village": "Are you ready to kill each other?"

Es geht bizarr zu bei diesem Rock'n'Roll-Fest namens "Wacken Open Air" (kurz "W:O:A"), zu dem seit fast zwei Jahrzehnten am ersten August-Wochenende zwischen 40.000 und 60.000 Zuschauer aus aller Welt pilgern. Da brüllt, das sieht man in dem Film "Full Metal Village", ein muskulöser, total tätowierter, das Gesicht zu einer grässlichen Fratze verziehender Sänger die jubelnden Massen an, ob denn auch jeder bereit sei, seinen nächststehenden Mitmenschen auf der Stelle abzumurksen: "Are you ready to kill each other?" Und aus abertausend Kehlen schreit es tobsüchtig: "Yeah!"

Solche Sachen zeigt die Filmemacherin Sung-Hyung Cho, 37. Sie ist eine neugierige Frau, die in Südkorea aufgewachsen ist, vor 17 Jahren zum Studium nach Marburg kam und seither in Deutschland lebt; sie behauptet, sie sei nie ein Heavy-Metal-Fan gewesen, auch wenn sie in ihrer Pubertät mal böse laute Songs von Judas Priest gemocht habe. Mit ruhigem, fast ethnologischem Blick betrachtet die Regisseurin das, was sie das "Aufeinanderprallen zweier Kulturen" nennt. Die netten, betulichen Dörfler in der schleswig-holsteinischen Provinz einerseits, die scheinbar so grimmigen, in Wahrheit eher zahmen und lustigen Gruselrockfans andererseits. Ihr Thema, sagt Sung-Hyung Cho, laute: "Was ist eigen, was ist fremd?"

Regisseurin auf Abenteuerexkursion

Tatsächlich fallen die gepiercten, grölenden Rocker und ihre schauerlich kostümierten Anhänger erst im letzten Drittel des Films in Wacken ein. Vorher geht die Regisseurin auf Abenteuerexkursion im Dorf. Sie lässt Bauern vom Niedergang der Milchwirtschaft, dem pausenlosen Zigarettenpaffen ("drei Schachteln am Tag") und von den Geheimnissen einer guten Ehe ("Einer muss den anderen stützen") reden, sie leuchtet Kuhställe aus und Wohnzimmer und einen Trainingsraum, in dem sich zwei Wackener Mädchen fit machen für die Modelkarriere, von der sie träumen.

Oft ist das komisch, oft aber tun sich auf ganz unterschiedliche Weise deutsche Abgründe auf: Wenn etwa ein arbeitsloser Bauarbeiter, der einst an der Gründung des Open-Air-Festivals im Jahr 1990 beteiligt war, mit Weißrussen und Polen auf deutschen Baustellen "aufräumen" möchte oder wenn eine alte Frau von der Flucht aus Ostpreußen übers Haff im Winter 1944/45 erzählt, von Bomben und ersaufenden Pferden und im Eiswasser treibenden Kinderleichen. Die Kunst der Filmemacherin besteht darin, dass sie den Menschen jederzeit mit irritierender Zuneigung auf die Pelle rückt.

Klar gibt es auch ein paar derbere Effekte in "Full Metal Village". Man sieht die Alten des Dorfs beim Gruppentanz herumhampeln und den Dorfpastor erstaunlich milde über die Teufelsanbeterposen der Metal-Rocker sprechen, und einmal, quasi als Eröffnungsabend des Rockfestivals, zeigt Sung-Hyung Cho sogar den Auftritt der dörflichen Feuerwehrkapelle vor einer Horde von wild ihre Mähnen schüttelnden Ledergesellen.

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In den Kinos haben sich viele Leute geschüttelt vor Lachen beim Anblick dieses Films, der wogenden Weizenfelder und muhenden Kühe, der knorrigen, lieben Menschen, die verschmitzt in die Kamera blicken und sich freuen, dass einmal im Jahr fast aus der ganzen Welt Leute kommen, um am Rand des 1800-Einwohner-Dorfs Wacken ein Fest zu feiern. Doch weil er nicht nur die äußerlichen Verwüstungen zeigt, die das jährliche Festival-Erdbeben in der Wackener Postkartenidylle anrichtet, sondern auch die bleierne Öde ahnen lässt, die übers Jahr das Dorf und die Köpfe seiner Bewohner beschwert, ist "Full Metal Village" manchmal auch so klug und finster und gemein wie richtig gute Rockmusik.

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